Samstag, September 10, 2005

Dresden

Es ist schon bitter. Da tut ausnahmsweise mal ein Mandatsträger der NPD das einzig Richtige und dann zum falschen Zeitpunkt.

Nachdem die Direktkanditatin der NPD für den Wahlkreis Dresden I das Zeitliche gesegnet hat, wird dort die Bundestagswahl erst am 2. Oktober stattfinden. Und da dann schon bekannt sein wird, wie der Rest der Republik abgestimmt hat, könnte es - bei entsprechend knappem Ergebnis - dahin kommen, dass den Dresdnern die Rolle des berühmten "Züngleins an der Waage" zufällt. Eine Aussicht, die bei mir eine Vision ausgelöst hat:

Sonntag, 18. September 2005, 18:01 Uhr. Nahezu gleichzeitig öffnen sich die Türen hunderter Parteigebäude in den Städten Deutschlands. Tausende von treuen Parteisoldaten schwärmen aus, Drahtscheren in der Hand, um die Kanzlerplakate ihrer Partei abzunehmen und auf die bereitstehenden Trucks zu verladen. Es kommt zu tumultartigen Szenen. Was man noch nie erlebt hat: Wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale sind die Grinsegesichter der BewerberInnen um das Amt des Bundeskanzlers aus den deutschen Städten verschwunden.

Sonntag, 18. September 2005, 23:59 Uhr. In wenigen Sekunden ist es Montag, Ende des Sonntagsfahrverbots. Ein dumpfes Grollen treibt die neugierigen Bürger an die Fenster ihrer Wohnungen. Vielleicht ist das Grollen ja das erste Anzeichen des von Wahlkämpfern aller Parteien für den Fall des Siegs des jeweils anderen Lagers vorhergesagten Untergang Deutschlands? Doch nein: Es ist das Geräusch von unzähligen Truckmotoren, die gleichzeitig gestartet werden. Das Rennen hat begonnen.

Montag, 19. September 2005, 4:00 Uhr. Die ersten Plakate erreichen ihr Ziel. Es kommt zu wüsten Massenschlägereien engagierter Plakatkleber, weil binnen kürzester Zeit alle verfügbaren Bäume, Laternen und Häuserwände zugeklebt sind.

Montag, 19. September 2005, 7:00 Uhr. In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Franken geht nichts mehr. Alle Fernstraßen sind mit LKW zugestopft, die nach Dresden wollen. In Dresden selbst sind Zehntausende von Ein-Euro-Kräften und Ich-AG-lern dabei, auf jedem verfügbaren Fleckchen Erde junge Bäume einzupflanzen, an denen weitere Wahlplakate Platz finden sollen. Wie auch immer die Wahl ausgehen mag: Dresden ist auf dem Wege, die grünste Stadt der Welt zu werden.

Dienstag, 20. September 2005, 13:28 Uhr. Am Himmel über Dresden kollidiert der Hubschrauber eines Privatfernsehsenders mit einem riesigen Ballon in Form von Frau Merkel, mit dem die CDU/CSU für ihre Kandidatin wirbt. Brennende Trümmer verteilen sich über die Innenstadt. Da alle Straßenränder dicht mit Plakaten aus leicht brennbarem Material vollgestellt sind, breitet sich das Feuer zügig aus.

Mittwoch, 21. September 2005, 22:00 Uhr. Alle Versuche der Feuerwehr, ein Inferno zu verhindern, sind gescheitert. Dresden ist nicht mehr. Sprecher der Parteien beginnen mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. In einer Turnhalle in Radeberg, die als Notunterkunft für geflüchtete Dresdner dient, erntet der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel donnernden Applaus, als er von einem "Bundestagswahl-Holocaust" spricht und die Abschaffung der Demokratie fordert.

Donnerstag, 13. Oktober 2005, 11:00 Uhr. In Karlsruhe erklärt das Bundesverfassungsgericht die Bundestagswahl vom 18. September für ungültig. Als Termin für eine Wiederholung der Wahl ist der 06. November im Gespräch.